Der Krokodilmann

Autor: Chris Lohner
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 320 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Die neunzehnjährige Anna fährt in ihrer Ente nach Paris, wo sie als Model arbeiten möchte. Mit Annabelle, der Chefin der größten Model-Agentur Europas, die ihr den Weg ebnet, verbindet sie bald eine tiefe Freundschaft. Und Anna verliebt sich in den Engländer Peter. Alles ist wunderbar, doch dann ist Peter nach einem Unfall querschnittgelähmt und beendet die -Beziehung. Wenig später stirbt Annabelle an Krebs. Anna braucht Abstand, reist nach Mexiko. Nach einem Sturz bewusstlos, träumt sie von einer Liebesgeschichte im Alten Ägypten. Doch ist es wirklich nur ein Traum?

Chris Lohner verknüpft in diesem vielschichtigen Roman auf reizvolle Weise autobiografische Elemente mit der Geschichte des Alten Ägypten unter Ramses II.

Leseprobe aus »Der Krokodilmann«

... Träumen wir unser Leben oder leben wir unsere Träume?

Ich weiß es nicht.

Ich weiß nur: Der Traum, der mich so sehr beschäftigt, muss zu einer anderen Wirklichkeit gehören. Gibt es doch Hinweise, dass alles tatsächlich geschehen ist. ...

... Ich wollte diese Geschichte schon vor einiger Zeit aufschreiben und habe lange darüber nachgedacht, ob ich das Erlebte auf Papier festhalten soll oder nicht. Das geschriebene Wort ist so endgültig! Und ich hatte Scheu davor, unbekannten Menschen von diesen seltsamen Ereignissen zu erzählen.

Denn bis jetzt habe ich nicht einmal mit meinen engsten Freunden darüber gesprochen.

Jetzt aber, da ich endlich den Mut dazu habe, alles aufzuschreiben, kann ich mich nicht mehr davonstehlen oder schweigen, wenn man mich nach meiner Reise nach Mexiko fragt. Ab jetzt gibt es alles schwarz auf weiß. Nicht für immer, aber doch für eine geraume Zeit. Bücher sind ja irgendwann einmal vergriffen und die Welt hat sie vergessen. Bis auf wenige Ausnahmen.

Für eine Weile sind diese Zeilen am Leben. Für jene, die sie lesen.

Aber zurück zum Anlass meiner bedeutungsvollen Reise. Und zu meinem Kummer, der Ursache meiner seelischen Erschöpfung. ...

... Ich hatte einen geliebten Menschen verloren. Meine beste Freundin Annabelle. Sie hatte eine Modelagentur in Paris.

Unsere erste Begegnung stand unter keinem guten Stern! Ich war gerade neunzehn Jahre alt geworden und aus meiner kleinen Stadt nach Paris gekommen, um in der Metropole der Mode mein Glück zu versuchen. Zu Hause war ich bereits eines der am meisten beschäftigten Models. Auf jedem Magazin, auf jeder Plakatwand war mein Gesicht zu sehen. Für Mode, Werbung, als Anregung, dieses oder jenes zu kaufen, es haben zu müssen.

Mein Zuhause wurde mir zu eng. Ich wollte weg. Anfang März machte ich mich auf den Weg. Ich setzte mir selbst ein Limit. Ich kaufte gerade so viele französische Francs, wie ich meiner Meinung nach brauchte, um zwei Monate in Paris ohne Job überleben zu können. Sollte die Summe verbraucht sein und ich noch keinen Job haben, dann würde mein Schicksal in Sachen Paris besiegelt sein. Es hätte Heimreise bedeutet, aber das wollte ich keinesfalls. Schon aus Prestigegründen, was auch immer ich damals darunter verstand.

Mein wichtigstes Gepäckstück war mein Fotobuch mit den besten Fotos, die ich von mir hatte, ein unentbehrliches „Dokument" für Models! Und so fuhr ich mit meinem kleinen schwarzen Peugeot - ich liebe schwarze Autos - nach Paris. Annabelles Agentur war damals für Models die beste Adresse in ganz Europa, das wusste ich.

Meine Eltern waren von meiner Reise nicht sehr begeistert. Mein Führerschein war erst ein Jahr alt und dementsprechend waren auch meine Erfahrungen. Und meine erste Überlandfahrt hatte mich lediglich dreihundert Kilometer weit gebracht. Paris war da schon etwas anderes. ...

 

... Peter war sofort an meiner Seite: „Ich möchte Sie ein Stück begleiten, if you don't mind!"

„Also, eigentlich bin ich auf dem Weg nach Hause. Ich muss noch Verschiedenes für morgen vorbereiten."

„Okay, dann begleite ich Sie eben nach Hause. Taxi or car?"

„Ich bin mit meinem Auto hier. Und Sie?"

„Ich fahre in Paris entweder mit dem Taxi oder der Metro. Ich will hier nicht fahren. Ich werde 
mich niemals an den Rechtsverkehr gewöhnen. Wo steht Ihr Wagen?"

Irgendwie ferngesteuert ging ich mit ihm zu meinem Auto, Peter stieg ein und ich fuhr, immer noch ferngesteuert, nach Hause. ...

 

... Und dann stand Peter plötzlich in meiner Wohnung. Es war das erste Mal, dass ich einen, ja, fremden Mann in meine Wohnung ließ. Offenbar hatte ich das meinen Hormonen zu verdanken, die plötzlich verrückt spielten. In kaum messbarer Zeit lag ich mit Peter im Bett! Und wie soll ich es beschreiben? Es war wundervoll!

Dieser Mann wusste, was einer Frau gefällt. Seine Hände, seine Lippen waren überall! Zärtlich und sanft!

Seine leidenschaftlichen Küsse verwandelten einen Teil meines Körpers in einen Aggregatzustand, den ich vorher noch nie erlebt hatte. Ich meinerseits wurde überhaupt nicht aktiv und ließ die Dinge -einfach geschehen. Ich war wie in Trance. Und wie gelähmt.

Und dann geschah etwas Wunderbares, Einmaliges! Es rieselte unbeschreiblich warm und wohlig durch meinen ganzen Körper. Mir blieb die Luft weg und der Raum rund um mich herum drehte sich. Mein Mund öffnete sich automatisch und ich stieß einen kleinen Schrei aus. Ich hatte meinen ersten Orgasmus! Ein großartiges Gefühl, das ich in meinem Leben nie mehr missen wollte! Und ein Engländer in Paris hatte das geschafft! Verständlich, dass ich ihm sofort verfallen war. ...

 

... Es gibt für mich Plätze auf dieser Welt, an denen ich mich sehr wohl fühle und oder eben nicht. Manche Orte scheinen mir vertraut, andere wiederum sind für mich furchterregend und bedrückend, und dazu gehört die alte Mayastadt.

Am Abend war ich so müde, dass ich nach einer ausführlichen Dusche beschloss, das Abendessen zu streichen, mich auf meinen Balkon zu setzen und einfach vor mich hin zu träumen.

Der vierte Tag begann für mich schon fast routinemäßig. Ich hatte mich bereits ganz gut eingelebt. Fabienne und ihr Mann mussten am Abend nach Belgien zurückfliegen und nachdem es ihr letzter Tag war, beschlossen wir drei, den Tag gemeinsam am Pool zu verbringen.

Wie immer positionierte ich meine Liege so, dass ich auf die Lagune schauen konnte. Heute wollte ich einmal nicht nur im Pool, sondern auch in der Lagune schwimmen.

Wir hatten es sehr gemütlich, wir lasen, lachten, tratschten miteinander und Geert brachte uns drei kühle Drinks, hellgrün, mit Orangenscheiben und einer Kirsche und mit kleinen Sonnenschirmen als Verzierung, die in den Orangenscheiben steckten.

Während meine belgischen Freunde sich im Pool erfrischten, machte ich mich bereit für meinen ersten „Schwumm" in der Lagune. Drei kleine Stufen führten von der Terrasse ins Wasser. Es war dunkel und weich und sehr angenehm. Ein leichter Wind wehte und das Wasser kräuselte sich ein wenig. Nachdem ich schon einige Tempi gemacht hatte, bemerkte ich plötzlich eine größere Unruhe am Ufer. Die meisten Menschen auf der Terrasse, auch Fabienne und Geert, waren an den Rand der Lagune geeilt, deuteten auf irgendetwas und schrien durch­ einander. Meine Ohren waren voll Wasser und ich konnte kaum etwas verstehen.

Und so rief ich: „Was ist denn los?"

Fabiennes Stimme war am lautesten und so hörte ich, wie sie mir zurief: „Komm sofort aus dem Wasser. In der Lagune sind Krokodile! Um Gottes willen, beeil dich!"

Mir blieb fast die Luft weg! Ich erschrak bis ins Herz! Ich war zwar noch nicht sehr weit vom Ufer entfernt, aber weit genug, um doch noch einige Meter schwimmen zu müssen, um wieder an Land zu kommen.

Krokodile! Entsetzlich! Wieso hatte mir das keiner vorher gesagt?

Ich schwamm um mein Leben. Und als ich mich einmal ganz kurz umdrehte, sah ich den Rücken eines Krokodils, nicht weit hinter mir, im Wasser.

Die Menschen am Ufer schrien weiter, fuchtelten mit den Händen in der Luft herum, deuteten auf das Krokodil und feuerten mich an, mich zu beeilen.

Ich schwamm und schwamm, keuchend und so schnell ich konnte, das Krokodil hinter mir her. Und dann: Endlich die Stufen!

Ich kroch, so rasch es meine Panik erlaubte, auf allen vieren aus dem Wasser.

Gott sei Dank: Geschafft!

Und dann passierte etwas Unglaubliches! Das Krokodil kam mir nach! Ans Ufer! Und kaum hatte das Tier den Boden berührt, verwandelte es sich - in einen Mann!

Ich war ausgerutscht und lag auf dem nassen Boden - zu seinen Füßen! War ich jetzt verrückt geworden? Träumte ich? Hatte ich zu viel Sonne erwischt? Gab es so etwas wie eine mexikanische Fata Morgana? Hatte ich Halluzinationen?

Nein, ich irrte mich nicht! Vor mir stand tatsächlich ein braungebrannter, relativ kleiner, aber drahtiger Mann! Ich verstand überhaupt nichts mehr! Was sollte das alles?

Ich schaute in die Menge, auf die Menschen, die am Rande des Ufers standen und so laut geschrien hatten.

Aber was war das? Die Menschen sahen aus, als wären sie mitten in ihren Bewegungen zu Stein erstarrt! Keiner rührte sich!

Und jetzt erst bemerkte ich es: Es war plötzlich totenstill geworden.

Der Mann reichte mir seine Hand, half mir auf die Beine, hob mich hoch und dann verlor ich das Bewusstsein. ...

... „Imara, ich bin's, Kebos! Dein Ehemann! Erkennst Du mich denn nicht? Bitte, Imara, sag, dass Du mich erkennst. Imara, Du bist meine Frau! Meine geliebte Frau! Und Du bist in unserem Haus in Theben!"

Seine Worte überschlugen sich nahezu.

Sie hieß also Imara!? Was war das für ein Name? Und in welchem Haus war sie? Sie betrachtete den Mann, der sich Kebos nannte und sie verzweifelt anflehte. Er trug ein helles, durchsichtiges Kleid mit kurzen Ärmeln über einem langen plissierten Rock. Er war nicht sehr groß, schlank, hatte oliv-farbene Haut, kurze schwarze Haare, sehr dunkle, fast schwarze Augen, die sie liebevoll, aber auch verzweifelt ansahen. Er war ein hübscher und sympathischer Mann. Aber sie hatte ihn noch nie gesehen. Sie konnte sich an nichts erinnern. Nicht einmal an sich selbst. Sie fühlte sich elend! ...

... Amun war in großer Sorge und musste etwas unternehmen.

„Wo ist Imara jetzt? Ich muss sofort zu ihr!"

„Sie ist im Garten, Herr. Soll ich Euch begleiten?"

„Nein, danke Amun, ich gehe allein zu ihr."

Als er den Garten betrat, sah er Imara am Rande des Brunnens stehen. Baina hatte ihr offenbar beim Ankleiden und Schminken geholfen. Sie trug ein weißes, schmales, langes und durchsichtiges Kleid, das den Blick auf ihre Brüste und ihre Scham erlaubte. Imara hatte sich zunächst gewehrt, dieses Kleid anzuziehen, aber Baina hatte ihr versichert, dass dies durchaus Mode sei. Im Gegensatz zu den Männern, deren Scham bedeckt war, war es bei den Frauen im Alten Ägypten üblich, ihren Körper derart zu zeigen. Ja, es sollte die Schönheit der Frau und ihre Sexualität besonders hervorheben.

Das Usekh-Kollier lag wie ein großer Kragen um Imaras Hals und war mit Perlen besetzt. Die Blüten in ihren Haaren bildeten einen Kranz um ihren Kopf. Sie war barfuß, so wie das im Hause üblich war, und trug einen Fußring.

Zum Ausgehen gab es Schuhe aus Leder, aber noch konnte sie das Haus nicht verlassen.

Kebos war hingerissen! Sie war wunderhübsch! Was hatte er doch für eine schöne, bezaubernde Frau! Er rief Imaras Namen - und als sie sich umdrehte, erschrak er.

Es war, wie Amun gesagt hatte: Ihre sanften braunen Augen hatten sich in strahlend blaue Augen verwandelt, die ihn ungläubig und erstaunt ansahen. ...

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