Drehschluss

Autor: Claudia Rossbacher
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 256 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Es gibt Promis, die sie lieben. Und noch mehr Promis, die sie hassen: Clara Bodenstein, Chefredakteurin des Boulevardmagazins UP!. Als Gesellschaftsreporterin hat die Wienerin in Berlin schon so manchen Stern am Society-Himmel aufgehen lassen, aber auch für einige gnadenlose Untergänge gesorgt. Gerade wegen ihrer Skrupellosigkeit wird Clara von der Filmdiva Jackie Benz beauftragt, deren Skandalbiografie zu schreiben, was einige Zeitgenossen lieber heute als morgen verhindern möchten. Nach etlichen Morddrohungen und einem nächtlichen -Überfall bei Dreharbeiten auf Mallorca verschwindet die Benz schließlich spurlos. Und sie soll nicht die einzige Prominente bleiben, die plötzlich wie vom Erdboden verschluckt ist ...

Claudia Rossbacher wagt einen schonungslosen Blick hinter die schillernden Kulissen der Boulevardmedien und die perfekt geschminkten Masken der Stars und Promis, die beinahe zu allem bereit sind, um im Scheinwerferlicht zu glänzen.

Leseprobe aus »Drehschluss«

1

Donnerstag, 8. März

Für Clara Bodenstein war es ein ganz normaler Donnerstagmorgen. Wie jeder Donnerstag, an dem sie sich nicht auf Geschäftsreise befand oder sich einen ihrer seltenen Urlaubstage gönnte. Pünktlich um sechs Uhr dreißig stöckelte sie den gläsernen Korridor entlang, vorbei an den noch verwaisten Schreibtischen ihrer Mitarbeiter, die in spätestens zweieinhalb Stunden in der Redaktion eintreffen würden, um ihren nervenaufreibenden Arbeitsalltag wieder aufzunehmen. Das hektische Treiben in dem Großraumbüro in der einundzwanzigsten Etage würde wie immer bis zum späten Abend anhalten, vielleicht sogar bis tief in die Nacht hinein.

Am Ende des Ganges verschwand die Chefredakteurin des auflagenstärksten Boulevardmagazins Deutschlands, der UP! - Unter Promis -, in ihrem steril anmutenden Büro, dem jegliche private Note fehlte. Es gab hier keine Fotos, keine Pflanzen, keine persönlichen Gegenstände. Nichts, das irgendetwas über Clara Bodenstein verraten hätte. Außer dass sie sich auf ihren Job konzentrierte. Kurz vor der Jahrtausendwende war die Wiener Journalistin dem Ruf der Medienmetropole Berlin gefolgt, in der sie sich seither mit viel Talent und noch mehr Einsatz Schritt für Schritt nach oben gekämpft hatte. Inzwischen war sie fast am Ziel ihrer ehrgeizigen Träume angelangt. Spätestens mit vierzig, also in knapp zwei Jahren, würde sie auch noch den letzten Sprung schaffen. Bis ganz nach oben in die zweiundzwanzigste Etage des Glaspalastes. Jene Etage, die den mächtigen Vorstandsmitgliedern des Alex-Reiter-Verlags vorbehalten war. Wenn sie weiterhin ihre Kräfte in die Arbeit investierte und im richtigen Moment ihren unwiderstehlichen Charme einsetzte, würde es mit dem Vorstandsposten schon klappen. Davon war Clara Bodenstein felsenfest überzeugt.

Zu dieser frühen Stunde fiel das milchige Licht der noch zaghaften Frühlingssonne durch die gläserne Fassade ihres Eckbüros, das sie vor gut zweieinhalb Jahren nach ihrer Beförderung zur Chefredakteurin bezogen hatte. Von hier aus genoss sie den atemberaubenden Blick auf Berlin, bis endlich das grüne Lämpchen der Espressomaschine zu blinken aufhörte. Die erste Tasse Kaffee war ihr heilig. Sie liebte es, ihn in aller Ruhe zu genießen. Und mit viel Milchschaum. Besonders an den Donnerstagen, wenn nicht nur die UP! erschien, sondern auch all die anderen bunten Klatschblätter, die Einblicke ins Leben der Promis und Stars gewährten. Die Konkurrenzbeobachtung war zwar längst an ein Marktforschungsunternehmen ausgelagert worden, das regelmäßig seine Berichte ablieferte, doch Clara zog es vor, sich selbst einen unmittelbaren und ungefilterten Überblick über die Society-News der vergangenen Woche zu verschaffen. Lieber vertraute sie der eigenen Urteilsfähigkeit als irgendwelchen leidenschaftslosen Marktforschern. Die Ergebnisse ihrer Analysen archivierte sie in den schwarzen Ordnern im Jalousieschrank, der bis knapp unter die Decke reichte. Man konnte nie wissen, wofür diese Aufzeichnungen eines Tages gut sein würden. Hier oben war die Luft schon recht dünn. Und es war in jedem Fall besser, stets wachsam und gut vorbereitet zu sein. Vor allem auf Angriffe aus den eigenen Reihen.

Clara liebte ihren wöchentlichen Blick über den Tellerrand. Überhaupt wenn sie, wie gerade eben, zufrieden feststellte, dass sie einen hervorragenden Job gemacht hatte. Die Reportage über den schnuckeligen Steffen Wolke würden die Leserinnen verschlingen, vor allem wegen der Fotostrecke, die den Soap-Star aus Hier und jetzt sexy wie nie zuvor zeigte. Und die Titelstory der aktuellen UP!-Ausgabe war ohnehin nicht zu toppen. Die Mitbewerber mussten einfach früher aufstehen, wollten sie ihr das Wasser reichen. Clara war ihnen wie so oft um die berühmte Nasenlänge voraus. Erst am späten Nachmittag des Vortages hatte Saskia Hansen, die junge engagierte Society-Reporterin, die sie vor wenigen Monaten vom größten Konkurrenten aus Hamburg abgeworben hatte, gerade noch rechtzeitig grünes Licht von der Rechtsabteilung eingeholt. Heute Morgen prangte die Headline groß und fett, vor allem aber exklusiv, auf der druckfrischen UP!-Titelseite:

Unfassbarer Verdacht gegen den TV-Star:

Hat Henning Bach Sandra S. (21) vergewaltigt?

Clara nahm noch einen Schluck von ihrem Caffè Latte und leckte sich genüsslich den Milchschaum von der Oberlippe. Wieder einmal hatten sich die exzellenten Kontakte, die sie im Laufe der Jahre aufgebaut hatte und die sie sorgsam hegte und pflegte, als ihr wertvollstes Kapital erwiesen. Ein kleiner inoffizieller Hinweis von offizieller Polizeistelle hatte ihr zum Exklusiv-Interview mit der bisher völlig unbekannten Sandra S. verholfen, die den beliebten TV-Star erst vor zwei Tagen angezeigt hatte und behauptete, von ihm vergewaltigt worden zu sein. Im Laufe eines tränenreichen Interviews hatte die junge Frau kein schmutziges Detail ausgelassen. Clara hatte der Wasserstoffblondine immer wieder zu bedenken gegeben, dass die Story gehörig Staub aufwirbeln und ziemlich sicher das Ende einer vielversprechenden Schauspielkarriere bedeuten würde. Doch Sandra S. war standhaft bei ihrer Geschichte geblieben. Fairerweise hatte die Chefredakteurin dem Beschuldigten noch eine Chance eingeräumt, zu den schweren Vorwürfen gegen seine Person Stellung zu beziehen. Doch Henning Bach hatte Clara, die seit seinen Anfängen als austauschbarer Nebendarsteller wohlwollend über ihn berichtet hatte, reichlich brüsk an sein Management verwiesen, das jeden Kommentar verweigerte. Mit diesem folgenschweren Fehler musste er nun leben. Clara konnte und wollte ihm nicht mehr helfen. Warum auch? Es gab keinen Grund, Sandra S.' Bericht anzuzweifeln. Sie war ein unbeschriebenes Blatt, eine junge hübsche Frau, deren großes Idol sie angeblich schamlos missbraucht hatte. Saskia hatte ihre Vergangenheit überprüft. Und Henning Bach war geliefert. Als mutmaßlicher Vergewaltiger konnte er sich von seinem süßen Starleben vorerst einmal verabschieden.

In ungefähr einer Stunde würden die Telefone in der Redaktion heiß laufen, wusste Clara. Und wenig später würde ihr Boss Jan Decker, Geschäftsführer des UP!-Magazins und Vorstandsmitglied des Reiter-Verlags, ihr zur brisanten Exklusiv-Story gratulieren. Die Auflage würde sich verkaufen wie die sprichwörtlichen warmen Semmeln. Und Decker würde sie dafür lieben - noch mehr, als er es ohnehin schon tat. Das war der anstrengendste Teil an ihrem Job. Ständig musste sie sich Decker vom Hals halten, ohne ihn dabei zu vergrämen. Seit ihrer Beförderung zur Chefredakteurin, für die er sich höchstpersönlich stark gemacht hatte, wie er nicht müde wurde zu betonen, war er hinter ihr her. Obwohl seine Frau Betty ihm damals gerade erst entzückende Zwillingstöchter geboren hatte. Clara war selbst kein Kind von Traurigkeit und wahrscheinlich eine der wenigen Frauen, die ehrlich davon überzeugt waren, dass Sex nicht zwangsläufig mit Liebe einhergehen musste. Oft war sogar das Gegenteil der Fall. Jedenfalls konnte sie sich an einige ziemlich heiße Nummern mit Männern erinnern, die ihr weder vorher noch nachher irgendetwas bedeutet hatten. Ob sie gebunden waren oder nicht, war ihr dabei stets herzlich egal gewesen. Das mussten die Typen schon mit dem eigenen Gewissen ausmachen. Doch Decker war für sie tabu. Nicht wegen Betty oder wegen der Zwillinge, sondern weil Clara einem ihrer wichtigsten professionellen Prinzipien folgte: Never fuck the office. Sie hatte es bisher nicht nötig gehabt, sich nach oben zu schlafen. Und sie hatte nicht vor, diesem Grundsatz untreu zu werden. Auch nicht für Decker, der trotz seiner Mitte fünfzig durchaus noch eine Sünde wert war. Was Clara betraf, so würde sie erst mit ihm schlafen, wenn er woanders sein Geld verdiente. Doch dann würde sie bereits auf seinem Vorstandssessel sitzen. Und das Interesse an ihr wäre damit wahrscheinlich jäh erloschen. Clara blickte in den Spiegel der silbern glänzenden Puderdose und trug ein wenig Lipgloss auf ihre markant geschwungenen Lippen auf. Bis Jan Decker sein Büro in der zweiundzwanzigsten Etage für sie räumen musste, wollte sie ihn wenigstens noch mit ein paar zusätzlichen Marktanteilen beglücken, dachte sie schmunzelnd.

Für Mona Ettinghaus war dieser Donnerstagmorgen alles andere als ein ganz normaler, war er doch der letzte in ihrem Leben, das gerade mal 43 Jahre lang gedauert hatte. Seit elf Tagen galt die Geschäftsführerin des Ettinghaus-Verlags nunmehr als vermisst. Daran hatten weder die beinahe Rund-um-die-Uhr-Ermittlungen des LKA Berlin noch die guten Beziehungen der einflussreichen Unternehmerfamilie Ettinghaus etwas ändern können. Anfangs war der schwerreiche Verlegerclan - genau wie Kriminalhauptkommissar Frank Schütte - davon ausgegangen, dass das prominente Familienmitglied Opfer einer Entführung geworden war. Monas schwarzer Nobel-Geländewagen war auf einem Restaurant-Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Lehnitzsees, etwa zehn Kilometer nördlich von Berlin, aufgefunden worden. Ihre Krokotasche, das Handy und ein paar Akten waren im versperrten Wagen gelegen. Eine Lösegeldforderung war bisher nicht eingelangt. Von der Verlegerin, die ihre Firma an einem Montagabend wie gewöhnlich gegen 19 Uhr verlassen hatte, fehlte jede Spur. Mittlerweile hatten auch die Medien Wind vom Verschwinden von Mona Ettinghaus bekommen und übertrafen sich gegenseitig mit den wildesten Spekulationen über ihr mögliches Schicksal. Doch nichts, was die Presse bisher erfunden hatte, reichte auch nur annähernd an die so viel grausamere Realität heran.

Monas nackter, blutleerer Körper und der kahl geschorene Schädel ließen ihren Leichnam wie eine skurrile Schaufensterpuppe aussehen, die mit gespreizten Armen und Beinen an ein Andreaskreuz an der Wand gefesselt worden war. Der blasse, kahle Kopf hing leblos vorneüber und verbarg die tiefe Schnittwunde in der Kehle. Von den Körpersäften, die auf dem Fliesenboden des Kellers eine übel riechende Lache gebildet hatten, und den vielen Blutspritzern auf den weißen Wandfliesen war nichts mehr zu sehen, so sauber waren sie mit dem Wasserschlauch abgespritzt worden. Genauso sauber wie Monas penibel enthaarter Leichnam, den nie wieder jemand zu Gesicht bekommen sollte. Außer ihr geisteskranker Mörder, der sein perverses Ritual noch nicht zu Ende geführt hatte. ...

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