Die Tote lebt

Autor: Ernst Hinterberger
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 216 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Ein Fall für Trautmann

Tatort Prater. Die Prostituierte Berti wird erwürgt und mit zerschnittenem Gesicht auf der Straße gefunden. Die Ermittlungen verlaufen aber im Sand. Als jedoch Monate später eine junge Serviererin und noch andere Frauen ebenfalls mit zerschnittenem Gesicht tot entdeckt werden, ist sich Trautmann sicher, einem Serientäter auf der Spur zu sein. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt … 

Leseprobe aus »Die Tote lebt«

Einige Uniformierte hatten genug mit den Hotelgästen zu tun, die durch den Lärm aus dem Schlaf gerissen worden waren und neugierig die Absperrung bei der Damentoilette belagerten. Sie stellten in allen möglichen Sprachen Fragen, welche die Absperrenden nicht beantworten konnten und die ab und zu auftauchenden Kriminalbeamten nicht beantworten wollten.

Am Rande einer Nervenkrise befanden sich der Geschäftsführer, dessen Stellvertreter und einige Angestellte der oberen Ebene. Sie waren entsetzt darüber, dass in ihrem Haus derart Unfassbares geschehen konnte.

Es gab zwar, wenngleich sehr selten, auch im Xanadu Einsätze von Rettung oder Notarzt, wenn einer der Gäste kollabierte oder aus anderen Gründen dringend einen Arzt brauchte. Aber in den meisten Fällen genügte der Hotelarzt, um kleine Wehwehchen zu behandeln. Vor vier Monaten war allerdings ein schwerreicher russischer Kaufmann in seiner Suite einem Herzschlag erlegen, aber dieser Vorfall hatte keinerlei Aufsehen verursacht, war diskret erledigt und von den anderen Gästen überhaupt nicht wahrgenommen worden.

Jetzt lagen die Dinge aber anders, hatten viele Gäste sehr wohl gemerkt, dass in ihrem teuren Luxushotel ein Verbrechen begangen worden war; es trafen auch immer mehr Journalisten und Fotoreporter sowie das ORF-Fernsehteam von Bundesland heute ein und sorgten für entsprechenden Wirbel.

In der Toilette arbeiteten die Leute der Tatortgruppe, standen, noch schlaftrunken, Oberst Sporrer und Abteilungsinspektor Trautmann vom zuständigen Kriminalkommissariat sowie vier Mann der Gruppe Gewalt der Kriminaldirektion 1 beisammen.

Als formelle Leiterin der Amtshandlung fungierte die junge Frau Kommissar Mag. Gstaltner, ebenfalls aus der Direktion, als juristisch gebildete Beamtin.

Sie begnügte sich aber damit, bloß anwesend zu sein, um ihre Untergebenen nicht unnötig zu behindern. Sie war noch sehr jung und unerfahren und außerdem der Meinung, dass die erfahrenen Kriminalbeamten durchaus in der Lage waren, ohne ihre Ratschläge oder Anordnungen auszukommen.

Die Tote war inzwischen aus der Zelle entfernt, auf den Fliesenboden der Toilette gelegt, entkleidet und vom Polizeiarzt Dr. Kammerer untersucht worden. Sie war mit einer Plane bedeckt und ihre Kleider waren bereits in einem Plastiksack sichergestellt worden.

Inzwischen war anhand von Aussagen und einigen Ausweisen aus der in der Garderobe aufbewahrten Handtasche des Opfers ermittelt worden, dass es sich bei der Toten um die dreiunddreißig Jahre alte Anna Grössing, Blutgruppe 0 +, verheiratet und im 5. Bezirk, in der Embelgasse, wohnhaft, handelte.

Und von einer noch anwesenden Kollegin, die ebenfalls serviert hatte, wusste man, dass die Grössing mit einem uniformierten Polizisten verheiratet war und Mutter von zwei Buben im Alter von sechs und acht Jahren war.

Ein Kriminalbeamter bemühte sich bereits, den Ehemann der Grössing zu erreichen. Der Festnetzanschluss der Grössings war abgeschaltet; wahrscheinlich war der Mann im Dienst und die beiden Buben sollten nicht durch einen möglichen Telefonanruf aus dem Schlaf gerissen werden.

„Ich würde“, referierte der bereits seit mehr als einem Jahr trockene Dr. Kammerer den Kriminalisten, „eine Todeszeit zwischen Mitternacht und zwei, spätestens drei Uhr früh annehmen – natürlich mit einem gewissen Spielraum. An der Brustseite zeichnen sich bereits die Livores, also Totenflecke, ab, aber Rigor mortis, also die Totenstarre, ist weder bei den Hals- noch Nacken- oder Unterkiefermuskeln eingetreten. Die Frau ist zweifelsfrei erwürgt und die Gesichtsverletzungen sind ihr erst nach Eintritt des Todes beigebracht worden.“

„Danke, Doktor“, sagte Trautmann für alle und fügte, ebenfalls für alle, hinzu: „Du brauchst uns das Latein nicht ins Deutsche übersetzen. Wir sind ja alte Hunde und kennen zumindest die wichtigsten Ausdrücke von euch.“

Und nach einer Pause: „Du brauchst mir auch nicht erzählen, dass die Tote da auf die gleiche Weise wie die vor einem Jahr im Prater gemacht worden ist. Das seh ich selber.“

Er wandte sich an den Gruppenführer der Gewalt, der nicht, wie im Vorjahr, Punzengruber war, sondern ein Chefinspektor namens Krtek, und sagte erklärend: „Damals war der Punzengruber von euch dabei. Im Mai hat einer eine Hure erwürgt und ihr danach das Gesicht zerfetzt. Wir haben uns zwar damals alle den Arsch aufgerissen, aber den Täter nicht ausforschen können. Es sind DNA-Spuren sichergestellt worden, aber die waren ein Schas mit Quasteln und nicht identifizierbar.“

Kurz bevor die Leute vom Leichentransport die Grössing einsargten, traf deren Ehemann, Bezirksinspektor Anton Grössing, der in der Polizeiinspektion Schulgasse im 18. Bezirk Dienst machte, im Palasthotel Xanadu ein.

Er war mit einem Kollegen auf Streifenfahrt gewesen, als er den Anruf vom Tod seiner Frau erhalten hatte, und natürlich war der Streifenwagen – zwar ohne Horn, aber mit rotierendem Blaulicht – sofort aus seinem Rayon zum Schubertring gefahren.

Grössing war vollkommen gebrochen und wollte unbedingt seine tote Frau sehen, aber Trautmann stellte sich ihm in den Weg und sagte ungewohnt weich: „Schau dir deine Frau nimmer an. Sonst vergisst du das Bild dein Leben lang nicht. Behalt sie lieber so im Gedächtnis, wie sie vorher war.“

Trautmann wusste natürlich, dass Grössing während seines Dienstes bereits, wie alle Polizisten, Tote gesehen hatte, die nicht immer präsentabel gewesen waren. Aber hier handelte es sich um Grössings Ehefrau, deren Gesicht so zerschnitten und verstümmelt worden war. Trautmann musste aber beinahe Gewalt anwenden, um Grössing davon abzuhalten, die Plastikplane von seiner toten Frau herunterzuziehen.

Ab 7.00 Uhr lief der Hotelbetrieb im Xanadu wie immer ab.

In der Halle sammelten sich die Gepäcksstücke abreisender Hotelgäste. Frühaufsteher frequentierten bereits das hervorragende und üppige Frühstücksbuffet. Die Polizisten hatten die Sachverhaltsaufnahme beendet, sich eine Liste aller Hotelgäste und aller im Hotel Beschäftigten geben lassen und das Hotel verlassen. Eine Liste der Anwesenden bei der Feier Hiesels würde nachgereicht werden.

Das Einzige, was die Polizisten bereits als sicher annahmen, war, dass sich der Täter im Hotel befunden haben musste. Und zwar nicht zufällig, sondern entweder als Hotelgast oder Teilnehmer an Hiesels Feier.

Einer, der im Hotel nichts zu suchen hatte, wäre unmöglich an dem Türsteher, den zwei Securityleuten in der Halle und dem Portier vorbeigekommen. Und wenn doch, wäre er von den Buckeln im Festsaal weggewiesen worden.

Die Hotelgäste waren dem wegen seines zuverlässigen Gedächtnisses legendären Portier bekannt. Und die zur Feier Eingeladenen hatten alle Namenstäfelchen am Revers getragen, weil der Gastgeber kein Interesse daran hatte, dass sich irgendwelche Schnorrer oder Leute, mit denen er „nicht konnte“, unter seine Gäste mischten.

Dass einer der Fernsehleute oder der Journalisten der Täter war, schlossen die Kriminalbeamten aus. Denn diese hatten alle bereits vor 23.00 Uhr sowohl Feier als auch Hotel verlassen.   

Die tote Grössing lag, mit einem Namenstäfelchen an der großen Zehe, in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin in der, nomen est omen, Sensengasse, im 9. Bezirk.

Die Damentoilette war gereinigt worden und glänzte wie üblich.

Trautmann und sein Oberst waren nicht mehr nach Hause, sondern gleich ins Kommissariat in der Leopoldsgasse gefahren. Sie tranken von Trautmann gebrauten extrastarken Kaffee und aßen die knusprigen Semmeln mit warmem Pferdeleberkäse, die sie sich beim Kiosk auf dem Karmelitermarkt gekauft hatten.

Trautmann kaute gedankenverloren und rollte sich, obgleich er fast noch eine ganze Semmel vor sich liegen hatte, eine Zigarette und steckte sie zwischen die Lippen.

„Jetzt führ dich einmal auf wie ein normaler Mensch“, sagte Oberst Sporrer. „Du kannst nicht zugleich essen und rauchen. Oder ist das eine neue Nummer für den Wohltätigkeitszirkus, mit der du brillieren willst?“                

Mit dieser Bemerkung spielte er darauf an, dass sich der in Wien populäre Trautmann im vorigen Winter hatte breitschlagen lassen, an einer Wohltätigkeitsveranstaltung des Österreichischen Nationalcircus, bei der alle möglichen Bühnenstars und andere bekannte Persönlichkeiten in der Manege aufgetreten waren, teilzunehmen.

Trautmann hatte bei einer Truppe boden- und geräteturnender Clowns mitgewirkt und war derjenige gewesen, der sich am Barren hilflos verwickelt, über den Sprungkasten nicht springt, sondern der aufläuft und den Kasten dabei in seine Einzelstücke zerlegt. Vor allem bei den Kindern hatte er großen Erfolg gehabt und hatte das Auflaufen mehrmals wiederholen müssen.

Trautmann legte die Zigarette weg, aß weiter und brummte dabei: „Nein. Ich war schon ein Mal zu viel in diesem Scheißzirkus. Aber ich war so in Gedanken, dass ich …“

Er schluckte hinunter, schaute ins Narrenkastl, hielt die angebissene Semmel in der einen Hand und nahm die Zigarette in die andere. Dann sagte er, mehr zu sich als zum Oberst: „Irgendwas haut da nicht hin, Chef. Irgendwas passt da nicht, Karli. Oder, es passt eigentlich recht gut, nur weiß ich noch nicht, ob …“

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