Mord im Prater

Autor: Ernst Hinterberger
Verlag: echomedia Buchverlag
Umfang: 224 Seiten

Kurzinformation zum Buch

Ein Fall für Trautmann 

Während eines Festzuges im Wiener Wurstelprater wird der georgische Student Lewan Tawarkaschwili erschossen. Er war ein allseits beliebter harmloser junger Mann, der, um sich sein Studiengeld zu verdienen, zeitweise auch als Schaustellergehilfe im Wurstelprater arbeitete. Nach und nach stellt sich aber heraus, dass Tawarkaschwili eine vielschichtige Figur war und wahrscheinlich der georgischen Mafia angehörte. Die für den Fall zuständigen Spezialisten der Kriminaldirektion tappen bei der Suche nach dem Mörder im Dunkeln und enden immer wieder in Sackgassen.

Leseprobe aus »Mord im Prater«

… Vor dem Schweizerhaus und bis zur Hauptallee ging es bereits hektisch zu, drängten sich eine Dixielandband, eine aus vor allem alten Männern bestehende, als Hoch- und Deutschmeister verkleidete Blasmusikkapelle und eine ebensolche Kaiserjägerkapelle; weiters sechs kostümierte Sambatänzerinnen und vier Sambamusiker sowie eine Anzahl für die Jahreszeit viel zu warm gekleidete und schwitzende Praterunternehmer. – Und natürlich auch Teilnehmer des Festzug-Spaliers und einige Leute, die neugierig aus dem Garten des Schweizerhauses gekommen waren.

Dann gab es noch einen mit geschmückten schweren Pferden bespannten und mit Budweiserfässern beladenen offenen Wagen, einen alten und einen modernen Feuerwehrwagen, vier geschmückte Fiaker, eine Gruppe weiß gekleideter Mädchen mit blumengefüllten Körben – und jede Menge Zuwandererkinder, die um zwei auf Halbstelzen stehende überdimensionale Figuren herumwimmelten. In deren aufgeblasenen Kostümen steckten zwei schwitzende junge Männer, die zwei populäre und legendäre Praterfiguren, Calafati und Haslinger, darstellten.

Der Italiener Basilio Calafati hatte Mitte des 19. Jahrhunderts das wahrscheinlich erste Ringelspiel im Wurstelprater errichtet, in dessen Mittelpunkt die mehrere Meter hohe Figur eines traditionell gekleideten Chinesen stand, den die Wiener bald Calafati nannten.

In den Kriegswirren des Jahres 1945 brannte das mehrmals renovierte Ringelspiel wie die meisten Praterattraktionen ab; heute steht eine Nachahmung des Chinesen auf dem Calafatiplatz des Wurstelpraters.

Und der Haslinger, ursprünglich die Comicfigur einer längst nicht mehr existierenden kommunistischen Zeitung, ein älterer, dicker Mann mit knallroter Säufernase, in Alt-Wiener Kleidung und mit einem Bowler, einer sogenannten Melone, auf dem Kopf, wackelt noch immer in einem Autodrom umher.

Natürlich fehlten in dem Gedränge auch nicht Luftballonverkäuferinnen und -verkäufer sowie ein alter Mann, der historische Ansichtskarten des Wurstelpraters – auf denen noch die 1873 erbaute und im Herbst 1937 abgebrannte Rotunde aus der Zeit einer längst vergessenen Weltausstellung zu sehen war – zu verkaufen suchte.

In dem Durcheinander führten, dabei miteinander konkurrierend, der Obmann der Praterunternehmer und Major Hauser das große Wort, versuchten, zumindest einige Ordnung in das Tohuwabohu zu bringen, vergrößerten dieses aber nur.

Trautmann und Dolezal standen etwas abseits und schauten sich das Getümmel an. Trautmann rollte sich die zwanzigste Zigarette an diesem Tag, zündete sie an, paffte und sagte zu Dolezal: „Nicht schwach, was sich da tut. Schaut aus wie eine Versammlung der Trotteln von Wien und Umgebung.“

„Und wir zwei Obertrotteln mittendrin“, gab Dolezal zurück und fügte gallig hinzu: „Wenn ich was zu reden hätt, tät ich die Feuerwehr ihre Schläuche ausrollen und den ganzen Haufen auseinanderspritzen lassen.“

Dann stieß der unterstandslose Rudi, einer der Stammgäste des kleinen Cafés auf dem Karmelitermarkt und mehr oder weniger ein Freund Trautmanns, zu den beiden. „Heut tut sich was“, sagte er. „Zugehen tut’s da wie im ewigen Leben, Inspektor.“

„Das kannst laut sagen“, brummte Trautmann. „Mir kommt vor, dass heut ganz Wien da ist. Aber so sind die Leut, Rudi. Wenn’s wo was zu sehen gibt, sind s’ schon haufenweise da. Und wenn’s nur ein Haufen Scheißdreck ist. Sehen müssen s’ den.“

Nach etwa einer halben Stunde zog der Obmann der Praterunternehmer sein Handy, telefonierte, bekam vor Aufregung ein schlagflüssiges Gesicht und keuchte: „Der Herr Bürgermeister und sein Gast werden gleich vorfahren!“ Und mit kippender Stimme: „Alles auf die Plätze! Formierung des Zuges! Und schon!!“

Daraufhin begann der Festzug so etwas wie eine Form zu bekommen. Die Spitze bildeten ein Streifenwagen der Polizei und die Gruppe der Mädchen mit den Blumenkörben. Hinter ihnen postierten sich Major Hauser und der Obmann der Praterunternehmer. Dann folgten die für die Ehrengäste bestimmten Fiaker, die funktionstragenden Praterunternehmer und die Hoch- und Deutschmeister. Nach ihnen kamen zwei historische Feuerwehrautos mit, wie es früher üblich war, je einem Trompeter auf dem Trittbrett, und ein modernes, das sein Horn erklingen und die Blaulicher rotieren ließ. Danach formierten sich die Dixielandband, etwa vierzig Zugsteilnehmer, sämtlich Praterunternehmer samt Frauen, die Sambagruppe und die Figuren des Calafati und des Haslinger. Den Abschluss bildeten die Kaiserjäger, hinter denen sich allerhand Adabeis einreihten, die auch unbedingt am Festzug teilnehmen wollten.

Dann fuhren einige Autos heran, denen der Bürgermeister, sein Sekretär, einige Stadträte und der von zwei hünenhaften Landsleuten und Leuten vom Staatsschutz bewachte georgische Handelsminister entstiegen, die vom Obmann der Praterunternehmer devotest begrüßt und zu den Fiakern geführt wurden. Die Ehrengäste bestiegen die Fiaker, wobei der Wiener Bürgermeister und sein Gast nebeneinander saßen. Ihr Wagen wurde von den georgischen und einheimischen Buckeln flankiert.

Dann kommandierte der Obmann der Praterunternehmer: „Zug, marsch!“, hob der Kapellmeister der Hoch- und Deutschmeister den bebänderten Taktstock, begann die kleine Trommel mit einem Einleitungsstakkato, setzten die Bläser ein und dröhnte der Deutschmeistermarsch. Der Zug begann sich, entlang des von uniformierten Polizistinnen und Polizisten im Zaum gehaltenen, gaffenden Spaliers, über die Straße des Ersten Mai in Bewegung zu setzen.

Der Zug sollte durch den Leichtweg zum sogenannten Rondeau und weiter über den Calafatiplatz bis zum Riesenrad gehen, wo der überaus beliebte Wiener Bürgermeister die Festrede halten sollte und der Deutsch sprechende georgische Handelsminister ebenfalls einige Worte sagen würde.

Die Leute von den Kriminalgruppen Gewalt und Eigentum bewegten sich hinter dem Spalier mit dem Zug und hielten die Augen offen. Aber weder sie noch die Uniformierten konnten verhindern, was dann geschah.

Als nämlich der umjubelte Festzug mit den in den Fiakern sitzenden und dem Spalier zuwinkenden Ehrengästen und den heftig akklamierten Sambatänzerinnen das blumenbestreute Rondeau passierte und sich in Richtung Calafatiplatz weiterbewegte, die Figuren des Calafati und des Haslinger ihre Kapriolen machten und die Kaiserjäger in voller Lautstärke, mit dröhnenden Trommeln und schmetternden Blasinstrumenten den Kaiserjägermarsch spielten, war neben dem dumpfen Klang der großen Trommel ein hellerer zu hören. Der aber in dem allgemeinen Getöse beinahe unterging.

Die Chinesenmaske des Calafati platzte auf; aus ihr spritzte ein Gemenge von Fleischfetzen, Knochenstücken und Gehirnteilen sowie ein Strom Blut heraus. Der Calafati stürzte zu Boden und blieb in einer sich rasch ausbreitenden Blutlache liegen.

Die Leute aus dem Spalier schrien entsetzt auf.

Der neben dem Calafati gehende Haslinger verlor das Gleichgewicht und stürzte nieder.

Die Kaiserjäger unterbrachen ihren Marsch – bis auf die Musiker in den hinteren Reihen, die noch nichts gemerkt hatten und noch einige Takte weiterspielten, bevor sie aufhörten.

Die anwesenden Uniformierten, Trautmann, Dolezal und zwei Mann der Gruppe Eigentum rannten zu dem regungslosen Calafati hin.

Dolezal zog sein Handy und telefonierte hektisch.

Die Fiaker mit den Ehrengästen fuhren so schnell weiter, dass ihre zu Fuß gehenden Bewacher kaum zu folgen vermochten.

Zwei beim Riesenrad postierte Rettungswagen rasten mit heulenden Hörnern und rotierenden Blaulichtern heran. Die Polizisten hatten Mühe, ihnen den Weg zu dem in der Blutlache liegenden Calafati zu bahnen. ...

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